Jahre des Aufbruchs 1974 bis 1977 und danach

Chronik einer Präsidenzeit (von Horst Reinkemeier)

Teil 1 – Neu im Posaunenchor

Sextaner

Als ich im Jahr 1970 am ESG als neuer Schüler aufgenommen wurde, fand ich drei Dinge bemerkenswert: 1. Der Direktor OStD Dr. Hayek fragte meine Eltern und mich bei der persönlichen Vorstellung, ob uns als Katholiken bewusst sei, dass es sich um ein evangelisches Gymnasium handele. 2. Am zweiten Schultag mussten alle Sextaner zur Aufnahmeprüfung der Kantorei. 3. In den Pausen blickten wir zu den im Pulk stehenden Primanern auf, die etwas von Sex, Drugs and Rock´n Roll und Revolte ausstrahlten. Um vom Nimbus der 68er noch etwas mitzubekommen, trugen wir Unterstüfler dann auch alle Jeans und BW-Parka und zottelige Haare, was selbst für den Posaunenchor quasi eine zweite „Uniform“ wurde. Meine Aufnahme in die Kantorei führte dazu, dass ich dienstags und freitags nachmittags zur Chorprobe beim Kantor Gottfried Wagner radelte, morgens anstatt Musikunterricht bei Arnold Möller Stimmbildung bei Carl-Theodor Hütterott erhielt, und, obwohl katholisch, mittwochs und samstags vor der Schule und alle 14 Tage sonntags Gottesdienste und Andachten musikalisch bereichern durfte. So entstand im Laufe der Jahre in meiner bisher durch Messdienerschaft und Orgelspiel geprägten katholischen Seele auch eine evangelische Seite.

Neu im Posaunenchor

August Köhring, mein erster Klassenlehrer, erzählte von einem Posaunenchor an der Schule, und empfahl mir, da ich mit Klavierunterricht musikalisch vorgebildet sei, dort vorzusprechen und mitzumachen. Also meldeten wir uns (wir waren fünf Mitschüler, von denen drei bis zum Abi mitspielten) bei Wolfgang Riewe, der nur Karl genannt wurde und wohl die wichtige Person beim Posaunenchor war. Er schrieb schon damals Reportagen für die heimischen Zeitungen, studierte dann ev. Theologie, wurde Pfarrer, Journalist und Chef des Ev. Presseverbands. Später erfuhren wir, dass nicht Karl, sondern Akke (Joachim Thalmann) der Dirigent sei, den man als Präsiden bezeichnet. Akke empfahl mir dann, trotz der schaurigen Geschichten, die man sich insbesondere in Posaunenchorkreisen vom Kantor als „Feind“ erzählte, auch in der Kantorei zu bleiben sowie auch er es tat. So wurde Gottfried Wagner für mich und viele andere der erste Lehrmeister in der Chorleitung, wie für manche dann auch sein Bruder Prof. Alexander Wagner in Detmold. Jeder von uns bekam ein Instrument in die Hand, Akke empfahl den Individualunterricht durch die Kreismusikschule und bald hatte ich auch meine eigene Trompete. Und so ging es auch schon zu den Proben freitags nach der Kantorei um 19.00 Uhr.

100 Jahre – und nun?

Meinen ersten Auftritt mit dem Posaunenchor erlebte ich als Quintaner 1971 mit dem 100-jährigen Jubiläum. Einige Wochen vorher ging es noch in die „Freizeit“ nach Hausberge an der Porta Westfalica. Dort konnte ich neben intensiven Proben auch die Geselligkeit und Traditionen in der Jugendherberge und den umliegenden Kneipen kennenlernen. Dann kam das Jubiläumswochenende. Beim Festgottesdienst in der Aula durfte ich noch nicht mitblasen, beim Türmchenblasen war ich stolz, einem Rolf Wischnath die Noten halten zu dürfen, beim Festkommers in Wiltmanns Festsälen durften wir jungen Bläser organisatorisch helfen. Und dann das große Konzert auf der Freilichtbühne in Mohn´s Park. Mit der Kantorei haben wir ein vom Kantor für den Anlass komponiertes Lied gesungen: „Wir sind die Jungs von Gütersloh,…. Ziehst du die Kantorei wohl vor oder auch den Posaunenchor, nur kein Gemecker, alle Geschmäcker kommen bei uns hier vor…“. Die Männerstimmen sangen eine Ode an die Frauen – und ich durfte das erste Mal mitspielen: 2. Flügelhorn, die Märsche 17, 1, 2, 45, … Alte Kameraden! Und die alten Kameraden spielten mit; mir schräg gegenüber saß Sigbert Mohn am Tenorhorn, Friedhelm Reitze spielte Tuba, an den Fanfaren Auwi Schwedler und Helmut Eickholz, und an den Pauken Charly Riechmann,… ein großes Erlebnis. Mancher beschrieb das später als kurzes Aufbäumen, das einen längeren Niedergang des Posaunenchors nur kurz unterbrach. Der Posaunenchor, ein Relikt aus vergangener Zeit?

Türmchenblasen zum 100. Jubiläum des Posaunenchors – © Privateigentum
Konzert auf der Freilichtbühne in Mohns Park (mit Sigbert Mohn am Tenorhorn) – © Privateigentum

Es waren die letzten Jahre der 68er: weder die preußischen Farben, Attitüden von Burschenschaften noch das Spielen von Armeemärschen kam unter den Schülern gut an. Und auch Choräle waren nicht en vogue. So ging es nach dem Jubiläum weiter bergab. Wenn wir mal auftraten, dann spielten wir aus dieser Spannung heraus nun auch eher im BW-Parka mit Jeans, langen Haaren und Posaunenchormütze. Die nächsten beiden Präsiden Andreas und Matthias Reckmann konnten das Ruder auch nicht herumreißen. Das Repertoire blieb gleich: Märsche, Volkslieder und zu Weihnachten Choräle. Das jährliche Weihnachtskonzert von der Empore der Evangeliumskirche entwickelte sich zu einem spröden Abspielen von Chorälen à drei Strophen ohne jeden Spannungsbogen. Wir hatten zwar Tradition, aber offenbar keine Zukunft.

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