Der Posaunenchor in den 1980er Jahren

150 Jahre besteht nun bereits der Gymnasial-Posaunenchor Gütersloh, und hat damit die Schule den Großteil ihr Bestehens begleitet. Herzlichen Glückwunsch zu diesem ganz besonderen Jubiläum!

Ich habe den Posaunenchor in den 1980er Jahren kennen- und schätzen gelernt, einer Zeit, in der der Posaunenchor von dem Neuaufbau in den 1970er Jahren profitierte. Der Posaunenchor wies eine gute Mitgliederzahl auf, der Wechsel zu dem nun weitgehend modernen Repertoire war vollzogen und der Chor wurde neben seinen eigenen Konzerten häufig zu Auftritten bei kleineren und größeren Veranstaltungen gebucht. Regelmäßig durfte der Posaunenchor die Stadt Gütersloh bei Reisen in die Partnerstädte Browtowe und Châteauroux musikalisch repräsentieren. Alle zwei Jahre wirkte er beim großen Michaelisumzug durch die Stadt mit (dafür musste kurz vorher das Marschieren nachmittags auf dem Schulhof geübt werden, was nach zwei Jahren Pause meistens nur bedingt funktionierte und eher als unangenehm empfunden wurde, man konnte ja von Mitschülern gesehen werden…).

Nach dem Wechsel auf das ESG stellte sich bei mir die Frage, ob ich meine in der Grundschulzeit erlangten musikalischen Grundkenntnisse irgendwie ausbauen sollte. Im Schulleben lernte ich den Posaunenchor kennen, hatte aber anfangs großen Respekt davor, dass nach wenigen Jahren die Schüler in Eigenregie solch eine musikalische Leistung hinbekommen. Ob das auch was für mich war? Ich benötigte noch ein eine Weile, bis ich mich Ende der 6. Klasse entschloss, das Thema auch anzugehen und mich bei dem Chor zu melden. Schnell bekam ich ein Posaunenchormitglied als meinen ersten Lehrer und eine Leihtrompete zugewiesen. Ich bin froh, diesen Schritt gemacht zu haben. Der Posaunenchor war eine schöne Bereicherung für meine Schulzeit. Mit dem Trompetenspiel hatte ich ein weiteres Hobby, aber andere Dinge stellten sich als noch wichtiger heraus: Die Gemeinschaft, die Fahrten, die Auftritte, die schönen alten und neuen Traditionen, die ich in den Jahren kennenlernen durfte. Im Laufe der Zeit erkannte ich allerdings erst das Besondere am Posaunenchor: Was es heißt, dass sich dieser Verein in Schülerselbstverwaltung organisiert, dass alle drei Jahre einen neuen und geeigneten Präsiden zu finden nicht selbstverständlich ist, dass der Verein und die Mitglieder schon in der Jugend eine Bereitschaft zum Engagement immer aufs Neue aufbringen müssen, um neue Mitglieder zu finden, zu proben, die Auftritte vorzubereiten und den Verein am Leben zu erhalten.

Pfingstkonzert 1988: v.r.n.l. Henning Rethage, Thomas Illg, Ulrich Vollmer, Yogesh Shaw, Jan Furtwängler, Mirko Filip, Wolfgang Dreier, Martin Wilmking, Jens Gräfer, Stefan Bornemann, Dirk Steinmann – © Privateigentum

Neben dem Musizieren und der Gemeinschaft hat die Zeit im Posaunenchor aber auch etwas anderes bedeutet: Man ist selbständiger geworden und hat außerhalb von Schule, Familie und Freundeskreis dazugelernt: Ich war in der Mittelstufe, als ich das erste Mal das Adventsblasen organisieren durfte. Für heute unverstellbar, aber ohne Google Maps und Computer wurden auf einem großen grünen Stadtplan die Routen (Nord und Süd) geplant und die Reihenfolge handschriftlich auf Papier notiert. Die Fahrer und häufig an die 50 Teilnehmer mussten eingeteilt und die Anwesenheit notiert werden (für die spätere Vergütung, die Spenden vom Adventsblasen wurden seinerzeit verteilt). Später habe ich das Amt des Kassenwarts übernommen. Während meine musikalische Begabung nicht unbedingt für höhere musikalische Weihen nach dem Abitur sprach, haben die kaufmännischen Tätigkeiten und das Organisieren durchaus ihre Spuren in meinem späteren beruflichen Leben hinterlassen.

Wie so häufig bei einem Rückblick bleiben auch in diesem Fall einzelne Begebenheiten hängen:

  • Ich war knapp zwei Jahre am Trompete spielen, als der seinerzeitige Präside Karl-Friedrich Rutz mich ansprach. Ich solle mal fleißig üben, dann dürfte ich nach den Sommerferien mit nach Broxtowe fahren. Das war aufregend! Das erste Mal in England und dazu noch in einer Familie untergebracht. Ich war froh, dass wir zu zweit in eine Familie durften und so konnten wir uns zwischendurch austauschen. An die Auftritte kann ich mich nicht mehr erinnern, aber die Familie war sehr nett und zum Abschluss der warmen Mahlzeiten kam jedes Mal ein warmer Obstkuchen mit Vanillepudding (der sogenannte Pie) auf den Tisch– das kannte ich von zu Hause nicht und war einfach nur köstlich!
  • Im Nachhinein muss ich heute noch schmunzeln, wenn ich an das erste Türmchenblasen denke. Ich hatte ja gar keine Ahnung, was mich da erwartete, allerdings meine Eltern auch nicht… Also brachte mich mein Vater an Heiligabend um kurz nach halb zwölf abends zur Schule und parkte auf dem noch leeren Parkplatz direkt vor der Penne, um auf mich zu warten. Wir trauten unseren Augen nicht, als eine halbe Stunde später geschätzt 2.000 Leute vor dem Parkplatz standen und feierten. Es hat etwas länger gedauert, bis wir an dem Abend nach Hause kamen…
  • Ein Höhepunkt des Jahres waren die jährlichen Freizeiten im Vorfeld des Pfingstkonzertes in der Jugendherberge Bad Hersfeld. Es gab schulfrei, dafür wurde intensiv geprobt. Etwas gefürchtet waren die Registerproben der einzelnen Instrumente, hier hörte man jeden falschen Ton, aber die Mühe lohnte sich und spätestens beim Konzert war man froh über das vorangegangene Üben. Ich entsinne mich an ein Jahr, in jener Zeit lief die amerikanische Serie „Dallas“ im Fernsehen und es muss eine besonders spannende Folge angestanden haben. Einer aus unserem Kreis hatte einen kleinen portablen Schwarz-Weiß-Fernseher dabei, dessen Tonausgabe aber nur mit Kopfhörern erfolgte. So wurde der Kopfhörer auf das Mundstück eines Waldhorns gepresst. Das ganze Zimmer starrte nun auf den winzigen Bildschirm, der auf dem Tisch in der Mitte des Schlafraumes stand, aber der ganze Raum war erfüllt von dem blechernen Klang und jeder konnte zumindest akustisch dem Geschehen folgen.
Stabübergabe und Abiturteller 1989 – © Privateigentum

Die Zeiten wiederholen sich. In der Festschrift zum 100jährigen Bestehen 1971 können wir lesen, dass der Posaunenchor nach den schwierigen Zeiten Ende der sechziger Jahre nur noch aus einer Handvoll Bläsern bestand. Es wurde dem Chor keine zehn Jahre mehr gegeben. Aber dann kam durch den engagierten Neuaufbau unter der Leitung von Horst Reinkemeier ein nicht erwarteter Aufschwung. Auf einem Foto aus dem Oktober 1977 sind 41 Mitglieder zu erkennen. Die Basis für viele gute Jahre war gelegt.

Und heute? Der Posaunenchor ist stark geschrumpft und weist zum 150jährigen Bestehen wieder nur eine geringe Mitgliederzahl auf. Hinzu kommt die Corona-Pandemie, monatelang sind keine Proben möglich, für den Zusammenhalt ist das sicherlich nicht förderlich. Als strukturell nachteilig haben sich für den Posaunenchor in den letzten Jahren das frühere Einschulungsdatum im Vergleich zu unserer Generation und das G8-Abitur erwiesen. Die Mitglieder und Präsiden müssen dadurch in noch jüngeren Jahren die Verantwortung übernehmen und die Selbstverwaltung organisieren. Der Posaunenchor hat allerdings schon häufiger schwierige Phasen erlebt, ist bislang aber immer wieder aufgestanden und hat sich weiterentwickelt. Eine Weiterentwicklung ist auch nun erforderlich, vor allem im strukturellen Bereich, denn die Zeiten werden für alle musikalischen Aktivitäten an der Schule nicht einfacher. Eine engere Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Schule wird deshalb erforderlich sein, insbesondere im Bereich Nachwuchsgewinnung. Dennoch ist dabei darauf zu achten, dass das Wesen eines selbstorganisierten Schülervereins erhalten bleibt, dies hat den Chor seit jeher ausgezeichnet und ist der Grund, warum er heute noch existiert. Dies wird hoffentlich auch von der Schule weiterhin anerkannt. Ich drücke Euch kräftig die Daumen, dass der Posaunenchor weiterhin seinen Platz in der Schulgemeinde hat und somit auch nachfolgende Schülergenerationen diesen sicherlich ganz besonderen Verein erleben und die Traditionen fortführen bzw. neue entwickeln können.

Henning Rethage

Mitglied 1983 – 1989

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