Teil 4 – Châteauroux und Abschied

Das Jahr 1977 brachte uns weitere Höhepunkte. Die Beteiligung von Gesang durch „unseren“ Chor behielten wir oft bei, wenn wir in Kirchen musizierten. Die große Präsenz des Posaunenchors in Gütersloh und die Rolle als „Aushängeschild“ des ESG führte dazu, dass wir nun eine Flut von Interessenten aus den 5er-Klassen hatten, und ich führte mehrere Nachmittage eine Art Assessment Center durch, ähnlich wie in den Jahrzehnten vorher Kantor Wagner. In einer Zeitungskritik zum Weihnachtskonzert, die ganzseitig auf der ersten Lokalseite der Weihnachtsausgabe ausfiel, wurde am Schluss die Hoffnung geäußert, dass die Gütersloher den Posaunenchor im Sommer auch gern konzertant hören würden, vielleicht am Schwanenteich am Stadtpark. Diese Anregung haben wir aufgenommen und stellten ein Programm, hauptsächlich aus Stücken im Big Band Stil der 20er und 30er Jahre zusammen. Das Konzert im Freien bei herrlichstem Sonnenschein am 19. Juni 1977 (eigentlich der Tag des ESG-Stiftungsfestes) hatte einen überwältigen Besucherzustrom und war ein voller Erfolg.

Erstes Konzert am Stadtparksee – © Privateigentum

Das Konzert haben wir dann Ende des Sommers Anfang September an gleicher Stelle bei gleichem Erfolg sogar wiederholt. So hatten wir mit dem Weihnachtskonzert in der Martin-Luther-Kirche und dem Sommerkonzert am Schwanenteich gleich die zwei Jahres-Höhepunkte erfunden, die jeden Posaunenchörler bis heute begleiten.

Die nächsten Höhepunkte fanden im Herbst statt: Der Festzug anlässlich der Michaeliswoche in Gütersloh, bei dem wir legendär aufmarschierten, und ein großer Jubiläumsfackelzug durch die Stadt.

Ein musikalisch besonderes Ereignis war das Konzert der vereinigten Posaunenchöre Güterslohs zum Michaelistag in der Martin-Luther-Kirche. Wir musizierten Barockstücke mit Pauken von Michel Richard de la Lande und Joseph Mouret, die für feierliche Anlässe in Versailles von Ludwig XIV. komponiert worden sind. Gemeinsam mit allen Bläsern wurde das Bläser-Oratorium „Das Jahr der Kirche“ mit dem Höhepunkt „Michael – wer ist wie Gott“ von dem sächsischen zeitgenössischen Komponisten Herbert Gadsch unter der Leitung unseres Ex-Präsiden Akke Thalmann uraufgeführt.

Konzert aller Gütersloher Posaunenchöre (oben in der Apsis der Penne-Posaunenchor) – © Privateigentum

Anfang Oktober eröffneten wir musikalisch u.a. mit eben dieser Festmusik aus Versailles das Gymnasium in Verl, welchem als Gründungsdirektor nun unser „Kon-Pennäler“ Dieter Aspelmeier vorstand.

Zeitungsbericht über die Eröffnung des Verler Gymnasiums – © Privateigentum

Der absolute Höhepunkt für uns war sicherlich die Reise in die neue Gütersloher Partnerstadt Châteauroux. Wir waren ja auserwählt, diese erste Jumelage der Stadt Gütersloh als einzige Musikgruppe zu begleiten. Besonders dankbar zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der Einsatz für uns von Dr. Gerd Wixforth als Altschüler und Stadtdirektor, Dieter Knobelsdorf als Ratsherr und Lehrer des ESG, Gisbert Nunnemann von der Stadtverwaltung, der die gesamte Aktion organisierte und Bärbel und Jobst Winkelbrand, die uns als Lehrerehepaar nach Frankreich begleiteten.

Wir hatten im Vorfeld der Reise Plakate und Autogrammkarten mit Foto und Unterschriften drucken lassen und die Marseillaise eingeübt. Und so gings, ausgestattet mit Schlagzeug, Fanfaren, Pauken und unseren Blasinstrumenten am 13. Oktober 77 um 4.00 Uhr in den vollbesetzten Bus mit Hänger nach Frankreich.

Zur Delegation, die mit PKW´s oder einem weiteren Bus anreisten, gehörten neben Bürgermeister Kollmeyer und Stadtdirektor Dr. Gerd Wixforth fast der gesamte Stadtrat, namhafte Unternehmer Güterslohs sowie Vertreter verschiedenster Institutionen und Honorationen jeweils in Begleitung, wozu auch unser Direktor Dr. Hans Hilbk und seine Gattin Erika gehörten. Um 18.00 Uhr kamen wir vor dem Hôtel de ville an und gaben als erstes ein kleines Begrüßungskonzert. Jean-Ives Hugon (heute stellv. Bürgermeister) als französischer Organisator und unsere Gasteltern nahmen uns in Empfang und es ging in die Gastfamilien zu einem opulenten dîner en famille. Am Freitag gab es die feierliche Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde im Rathaus. Wir lieferten mit Musik aus der Zeit Ludwig XIV. das musikalische Rahmenprogramm. Das war der protokollarische Höhepunkt, der aber am Abend im Rathaus emotional übertroffen wurde. Beim Tanzabend mit allen französischen und deutschen Gästen gab es zu unserer Musik (wir spielten sowohl die beiden Nationalhymnen, Musik im Big-Band Sound und das gemeinsam auf französisch, deutsch oder englisch gesungene „Auld lang syne“) große Umarmungen und rührende Verbrüderungsszenen, von denen mir manche Mitreisende noch nach Jahren vorschwärmten. Die Feier ging mit französischem Buffet und natürlich (für manchen von uns zu viel) Wein bis tief in die Nacht. Gegen 3 Uhr wurde ich von der Polizei dort abgeholt und ins Hospital begleitet, wo jemand, der wohl viel zu tief ins Glas geschaut hatte, behandelt wurde. Man hatte ihn an der Uniform erkannt und so den chef d´orchestre gebeten, sich zu kümmern. (was auch alles sehr diskret geschah).

Am Samstag, wurde es dann mehr fröhlich als hoch emotional. Wir spielten auf mehreren Plätzen in der Fußgängerzone. Viele von uns wurden überrannt nach Autogrammwünschen.

Und abends wurde im Haus der Jugend „abgefeiert“ zu Discomusik. Als wir dann dort nach Mitternacht spielten (diesmal ohne Uniform in Freizeitkleidung) kam es zu frenetischem Jubel. Wir marschierten nach etlichen Zugaben in einer Polonaise von der Bühne durch den Saal ins Freie und die gesamte Jugend folgte uns.

Für alle ein tolles Erlebnis! Die Heimfahrt am Sonntag führte uns noch zu einem Foto-Abstecher nach Paris, und wir kamen um Mitternacht erschöpft und glücklich wieder in Gütersloh an.

Abschiedskonzert

Und nun stand mein letzter Akt an: ein Konzert zur Stabübergabe an meinen Nachfolger (auch das wurde dann zur Posaunenchortradition). Der Chor hatte schon fast 1 Jahr vorher den neuen Präsiden gewählt, der eigentlich schon Anfang 77 den Taktstock übernehmen sollte, da ich auf das Abitur zusteuerte. Auf Bitten von Dr. Hilbk blieb ich aber bis nach der Châteauroux-Fahrt. Zur Wahl stellten sich 4 hoch engagierte und auch geeignete Kandidaten. Es wurde dann Martin Gentejohann, den auch ich für den besten hielt (wir hatten gemeinsam oft auch als Duett musiziert, Martin an der Trompete oder Blockflöte und ich an der Orgel oder Cembalo, so bei den deutsch-niederländischen Blockflöten-Tage von Frans Brüggen).

Martin Gentejohann und Horst Reinkemeier 1973 – © Privateigentum

Das Konzert fand dann am 29.10.77 in der Aula statt, und wir präsentierten unsere Bandbreite an Musikalität. Die Aula war proppevoll, incl. Empore und aller Fensterbänke. Theo Renninghoff kommentierte einen kurzen fotografischen Rückblick meiner Präsidenzeit. Einer der jüngsten, Christoph Gwosdz (später u.a. Solo-Posaunist bei den Bochumer Symphonikern) und Alexander Buske aus meiner Klasse (später Tonmeister beim WDR) hielten eine Laudatio. Ich bekam eine große Trommel (wie unser alter „Bums“) mit Posaunenchorzirkel und allen Unterschriften auf dem Fell geschenkt, verabschiedete mich unter anhaltendem Jubel bei jedem einzelnen Musiker und übergab den Stab an Martin, der seinen ersten Petersburger Marsch dirigierte.

Das war Abschied und Anfang, wovon der Posaunenchor schon immer lebt, worunter er auch manchmal leidet. Diesmal litt er nicht. Sowohl Martin Gentejohann (heute Musiklehrer und BigBand-Leiter am von Bodelschwingh-Gymnasium Bielefeld, wir haben nach dem Abi viele Jahre gemeinsam die Weihnachtliche Nachtmusik geleitet) als auch Malte Steinsiek (heute u.a. Leiter der Westfälischen Kammerphilharmonie Gütersloh) konnten die Dinge weiter vorantreiben, sodass es für den Posaunenchor 10 glorreiche Jahre wurden. Als Zeichen dieser großen Kontinuität haben wir In Maltes letztem Weihnachtskonzert zu dritt musiziert, Malte und Martin an den Trompeten und ich an der Steinmeyer-Orgel der Martin-Luther-Kirche, und zwar die beiden Doppeltrompetenkonzerte von Vivaldi und Manfredini.

Zeitungsbericht über Weihnachtskonzert mit 3 Präsiden – © Privateigentum

Seit 45 Jahren Weihnachtskonzerte in der Martin-Luther-Kirche

Nach 1976 wurden die Weihnachtskonzerte in der Martin-Luther-Kirche als Höhepunkt des Jahres eine feste Tradition des Posaunenchors, und ich habe bis 2006 fast durchgängig immer die Solisten an der Orgel begleitet. Das waren immer wieder große musikalische Glanzpunkte mit tollen Bläsern, die entweder im Posaunenchor oder in dessen Umfeld groß geworden waren. In besonderer Erinnerung sind mir Hermann Bäumer (Posaune), Manuel Büscher (Tenorhorn), Martin Gentejohann (Trompete), Christoph Gwosdz (Posaune), Jörg Häusler (Trompete), Iris Helene Hilbk (Sopran), Matthias Imkamp (Posaune), Jan-Christopher Knufinke (Trompete), Michael Koch (Horn), Fabian Kuhnen (Trompete), Bärbel Leo (Posaune), Christoph Leo (Posaune), Holger Lustermann (Saxophon), Rüdiger Meyer (Trompete), Timo Schaper (Trompete), Sebastian Schürger (Trompete), Martin Steiner (Posaune), Malte Steinsiek (Trompete), Kai-Nicolas Theißen (Trompete), Helge Tischler (Posaune), Stefan Tischler (Tuba), Hartmuth Welpmann (Horn). Einige von ihnen sind mittlerweile national und international gefragte Musiker, andere haben einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Ich konnte auf diese Weise alle Präsiden nach mir kennenlernen und den Posaunenchor in seinen Qualitätsschwankungen lange Zeit begleiten und beobachten.

5 Präsiden nach einem Weihnachtskonzert

5 Präsiden nach einem Weihnachtskonzert – © Privateigentum

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